ELearning für ältere Beschäftigte -
der aktuelle Forschungsstand
1. Zum Hintergrund
Brauchen ältere erfahrene Mitarbeiter eine besondere Didaktik und eigene Lernformen für digitale Weiterbildungskonzepte? Wollen sie anders lernen, anders einbezogen werden - wollen sie "demografie-sensibel" adressiert werden? Es scheint, dass diese Fragen die Forschung bisher kaum interessiert haben. Einschlägige Untersuchungen zum Thema "eLearning für Ältere" sind kaum vorhanden.
Es finden sich zwar zahlreiche Studien zum demographischen Wandel, zu lebenslangem Lernen und Weiterbildung, zu eLearning allgemein sowie zum Lernen im Alter. Dem Einsatz von eLearning beim Lernen von Älteren haben sich dagegen in jüngerer Zeit nur wenige Untersuchungen gewidmet. Der vorliegende Bericht, der im Rahmen der Initiative "IT 50plus" erstellt wurde, fasst die wichtigsten Erkenntnisse der bisher auf diesem Gebiet vorgelegten Studien und Publikationen zusammen.
2. (Lebenslanges) Lernen und Weiterbildung bei Älteren
Seit den 1990er Jahren hat das Thema "Lebenslanges Lernen" zunehmend an Bedeutung gewonnen. Im Sinne einer kontinuierlichen (beruflichen, persönlichen, sozialen) Weiterbildung rücken - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung - auch ältere und erfahrene Mitarbeiter mehr und mehr in den Fokus von Diskussionen über Bedarf und Möglichkeiten spezifischer Lernkonzepte.
Die Frage ist, wie und unter welchen Umständen und Voraussetzungen Ältere lernen (bzw. lernen können und wollen), um vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse berufliche Weiterbildungsmaßnahmen angemessen gestalten zu können.
Die im Heft 115 der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung
und Forschungsförderung (BLK) (2004) vorgelegte "Strategie für Lebenslanges Lernen in der Bundesrepublik Deutschland" zeigt neben der Einbeziehung des praxisbezogenen und informellen
Lernens weitere Begleitumstände und Voraussetzungen auf, die lebenslange Bildungsmaßnahmen für Ältere beachten sollten:
- Bestehende Kompetenzen und Qualifikationen erfassen und aufgreifen ("Kompetenzentwicklung"),
- zeitlich und inhaltlich flexibel und individuell aufgebaute Lernmodule anbieten ("Modularisierung"),
- ausreichende Betreuungs- und Orientierungsmöglichkeiten für die Lernenden bereitstellen ("Lernberatung") und
- die physischen und psychischen (alterspezifischen)
Barrieren beseitigen ("chancengerechter Zugang").
Hörwick (2003) betont, dass der individuelle Qualifizierungsstand des jeweiligen Lerners ermittelt und berücksichtigt werden sollte, um eine Über- oder Unterforderung beim Lernen zu vermeiden. Um eine Weiterbildungsmaßnahme möglichst individuell zu gestalten, ist die Wahl der geeigneten Lehrform von entscheidender Bedeutung.
In diesem Zusammenhang kann der Einsatz audiovisueller Medien
Vorteile gegenüber Frontalunterricht bieten. Das setzt allerdings das Vorhandensein bzw. die Aneignung medialer und kommunikativer Kompetenzen voraus.
Ein wesentliches Merkmal der Lebenssituation älterer Menschen ist ihr höherer Grad an Selbstbestimmung, Selbstorganisation und Selbstverwirklichung. Das gilt auch für Lernprozesse. Ältere können und wollen selbst entscheiden, ob, wann, wie, wo, was, warum und wofür sie lernen, ohne sich dabei nach den - zumeist starren - Vorgaben eines Curriculums richten zu müssen.
Deshalb sollten Lernmaßnahmen für ältere, erfahrene Lerner dem Konzept des selbstgesteuerten und selbstorganisierten Lernens folgen und informell ausgerichtet sein (vgl. Malwitz-Schütte 2006).
3. ELearning für Ältere
3.1 Vorbehalte und Barrieren
Pfeffer-Hoffmann (2007) fasst vier übergeordnete "Zugangsschwellen" zusammen, die immer noch
verhindern, dass ältere Menschen überhaupt zur Zielgruppe für eLearning-Angebote gehören:
- die mangelnde Vertrautheit mit digitalen Medien;
- konventionelle, feste Lerngewohnheiten von älteren
Lernern; - das spezifische Interesse Älterer an ganz bestimmten Themen sowie
- spezielle Anforderungen an die Benutzeroberfläche.
Auch er betont, dass in erster Linie die Vermittlung einer grundlegenden Medien- bzw. IKT-Kompetenz von entscheidender Bedeutung und Voraussetzung für die eLearning-Nutzung ist.
Selbst wenn die beiden erstgenannten Hürden im Laufe der kommenden Jahre durch den ubiquitären Einsatz von Computern in der Arbeitswelt und durch flexibleres Lernverhalten niedriger werden dürften, so unterstreichen die beiden letztgenannten Hürden doch nachdrücklich die Notwendigkeit entsprechender
Maßnahmen und spezifischer eLearning-Angebote, um auch eine ältere Zielgruppe ansprechen und erreichen zu können.
Dabei gilt es unter anderem, das bisher Geleistete der berufserfahrenen Teilnehmer zu würdigen (Ältere als kompetente Experten für ihr Fachgebiet), sie sensibel an die notwendige Medienkompetenz heranzuführen, Betreuung als integrativen Bestandteil zu etablieren und individualisierte Hilfestellung zu leisten.
3.2 Angebote und Dienstleistungen
Welche Lernangebote existieren zurzeit für ältere Zielgruppen? Kimpeler et al. (2007) haben im Rahmen ihrer Untersuchungen zur Studie "Zielgruppenorientiertes eLearning für Kinder und ältere Menschen" herausgefunden, dass bislang nur wenige Produkte und Dienstleistungen für diese Gruppe existieren.
Es gibt zwar einige Internetportale bzw. -plattformen zu altersrelevanten Themen (Alter, Recht, Wohnen etc.). Auch werden entsprechende Kurse, Seminare und Workshops angeboten. Spezielle Lernsoftware oder Edutainmentangebote für diese Zielgruppe bilden jedoch nach wie vor die Ausnahme.
Insgesamt betrachtet mussten die Autoren feststellen, dass die wenigen speziellen eLearning-Angebote für diese Zielgruppe in erster Linie darauf ausgerichtet sind, älteren Menschen eine grundlegende Medienkompetenz zu vermitteln. Die Vermittlung von fachbezogenen Lerninhalten erfolgt nach wie vor eher in Präsenzveranstaltungen als mittels eLearning.
Eine Zielgruppenfokussierung mit entsprechender Strategie und spezifischem Angebot existiert so gut wie nicht. Die wenigen institutionalisierten eLearning-Angebote haben alle eher "Projekt- oder Experimentiercharakter" (vgl. ebd.).
3.3 Technik und Medienkompetenz
Generell gilt für alle Zielgruppen, dass Technik und Mediendesign nicht Selbstzweck sein dürfen, sondern sich an Lernertyp, Lernziel und Lernumfeld orientieren müssen. Für die Zielgruppe der älteren Lerner setzt das in erster Linie das Beachten der Barrierefreiheit von Software bzw. Benutzeroberfläche voraus. Als Orientierung können dabei nicht zuletzt die allgemeinen Richtlinien zur Barrierefreiheit
dienen.
Ähnliches gilt für visuelle Hilfestellungen (bspw. verschieden einstellbare Schriftgrößen), zielgruppenspezifisches Design und Orientierungsmöglichkeiten. Die Benutzeroberfläche sollte einfach und übersichtlich aufgebaut sein und sich mit wenigen, gut erkennbaren Navigationselementen (bspw. auch durch Pfadangaben, Sitemaps etc.) begnügen, um eine gute Orientierung auch für beeinträchtigte Lerner zu gewährleisten.
"Das Design sollte sich an vorhandenen Bedienstandards orientieren und auf ein experimentelles Layout verzichten" (Pfeffer-Hoffmann 2007: 3); der Technikeinsatz sollte somit auf die notwendigen Funktionalitäten reduziert und erst - sofern erforderlich - mit fortschreitendem Lernverlauf komplexer werden (vgl. ebd.).
Dobida (o.J.) sowie Bowman und Kearns (2007) raten dazu, grundsätzlich langsam, behutsam und auf persönliche Bedürfnisse eingehend an IKT- bzw. Web 2.0-Tools heranzuführen, um Vertrauen und Motivation bei den älteren Lernern zu festigen. Auch hierbei kommt dem Thema Hilfestellung und Betreuung ein hoher Stellenwert zu.
Hilfsangebote sollten vielfältig und einfach zu erreichen und sowohl direkt (also im eLearning-Umfeld selbst, bspw. auch über FAQ) als auch indirekt (PDF, Druck, E-Mail, Telefon-Hotline) verfügbar sein. Ein zusätzlicher Teilnehmer-Support durch Tutoring und (Präsenz-)Schulungen - also durch Blended-Learning-Konzepte - bietet eine solide Betreuungsbasis
(vgl. Pfeffer-Hoffmann 2007).
3.4 Didaktik und Inhalte
Vor dem Hintergrund zielgruppenspezifischer Lernbedürfnisse und der genannten "Zugangsschwellen" empfehlen Pfeffer-Hoffmann (2007) sowie Bowman und Kearns (2007) eine zielgruppenorientierte mediendidaktische Gestaltung. Zentral sei dabei die Lernzufriedenheit bei der eLearning-Nutzung. So sollte eLearning für ältere Lerner vor allem geringe Anforderungen an die Medienkompetenz stellen, einen hohen instruktiven Anteil haben, kleinschrittig vorgehen und ein individuelles Lerntempo zulassen. Dabei sollte es gut gegliedert und beschrieben sein sowie einzelne Informationen gut sichtbar machen.
Kooperative eLearning-Formen sind individuellen Formen vorzuziehen und sollten möglichst in ein Blended-Learning-Konzept mit kleinen Klassen oder Gruppen eingebunden werden. Dadurch kann internetgestütztes Tutoring mit Lernbetreuung vor Ort kombiniert und somit die Selbstorganisation des Lernprozesses durch Betreuung und Beratung unterstützt werden.
Nicht zuletzt kommt auch der Auswahl der Lerninhalte eine entscheidende Bedeutung zu. Die Inhalte sollten an Lernerfahrung, Regelwissen und Vorwissen der Älteren angepasst sein, nicht zu viel Informationsgehalt gleichzeitig enthalten, sukzessive dargeboten werden und die spezifischen thematischen
Interessen von Älteren unter inhaltlichen, sozioökonomischen und strukturellen Gesichtspunkten berücksichtigen (vgl. Pfeffer-Hoffmann 2007; Porath 2008).
Die meisten "altersbedingten" Herausforderungen und Einschränkungen mit Blick auf eLearning für die ältere Zielgruppe ließen sich demzufolge durch angemessene didaktische Konzepte und sensibel durchdachte Gestaltungsaspekte kompensieren. Alters- und zielgruppengerechtes eLearning müsste zusätzliche Erreichbarkeits-, Brauchbarkeits- und Designkriterien erfüllen, um älteren Lernern bei Lernumgebungen, Navigation, Texten, Grafiken sowie dynamischem bzw. audiovisuellem Content gerecht zu werden (vgl. Bowman und Kearns 2007).
4. Fazit und Aufruf zum Erfahrungsaustausch
Aktuelle Marktbeobachtungen und -analysen zeigen, dass die eLearning-Wirtschaft der Zielgruppe der älteren Lerner nicht mit entsprechenden Fokussierungen, Strategien und Angeboten begegnet, obwohl die Zielgruppe infolge des demographischen Wandels stetig wächst. ELearning-Produkte für Ältere sind so gut wie nicht vorhanden und/oder werden nur äußerst zurückhaltend vermarktet - aus unterschiedlichen Gründen.
Auch einschlägige Untersuchungen zum Thema "eLearning für Ältere" sind Mangelware, wie die vorliegende Übersicht über den Forschungsstand belegt. Denkbar ist aber auch, dass aktuelle Studienund Forschungsprojekte zu diesem Themengebiet zwar existieren, bislang aber nicht an die Öffentlichkeit
gelangt sind. Das MMB-Institut ruft deshalb alle Forschungseinrichtungen, die sich zurzeit mit dem Thema "eLearning-Konzepte für ältere Beschäftigte" befassen, zum Erfahrungsaustausch auf, um gemeinsam von Synergieeffekten profitieren zu können.
5. Ansprechpartner
MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung
Torsten Fritsch M.A.
Folkwangstr. 1
45128 Essen
E-Mail: fritsch@mmb-institut.de
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